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Brennpunkte des Arbeitsrechts

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Urlaub: Urlaubsabgeltung

Urlaub verfällt in der Praxis häufig nicht


Nach dem Gesetz muss Urlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 S. 1 Bundesurlaubsgesetz). Er verfällt ersatzlos am Ende eines jeden Kalenderjahres, es sei denn, er konnte wegen dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe nicht genommen werden (§ 7 Abs. 3 S. 2 Bundesurlaubsgesetz). Laut Gesetz verfällt er dann 3 Monate später am Ende des folgenden Quartals zum 31. März (§ 7 Abs. 3 S. 3 Bundesurlaubsgesetz).


Jedoch hat die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshof und ihm folgend des Bundesarbeitsgerichtes strenge Anforderungen gestellt, die dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen sind. Der Arbeitgeber muss Obliegenheiten erfüllen und im Prozess beweisen, dass er diesen Pflichten nachgekommen ist:


  • Mitteilung an den Arbeitnehmer, wie viele Urlaubstage ihm im folgenden Kalenderjahr zustehen.

    Hierbei ist „Alturlaub“, also aus dem Vorjahr übertragene Urlaubstage, ebenso wie Zusatzurlaub als Schwerbehinderter (§ 208 SGB IX, der lediglich Gleichgestellten nicht zusteht), auszuweisen.

  • Ausdrückliche Aufforderung an den Arbeitnehmer, die vorgenannten Urlaubstage im Kalenderjahr zu nehmen. Die Aufforderung muss zu Beginn eines Kalenderjahres erfolgen und sollte gegebenenfalls später im Jahr wiederholt werden.

  • Der Arbeitgeber muss unmissverständlich und eindringlich darauf hinweisen, dass nicht genommener Urlaub am Ende des Kalenderjahres ersatzlos verfällt.

  • Die Dokumentation sollte aus Beweisgründen textlich erfolgen und auch der Zugang der textlichen Belehrung nachweisbar festgehalten werden.


Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 541/15, Rn. 43 - ausgeführt:


"bb) Der Arbeitgeber muss sich bei Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheit auf einen „konkret“ bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen und den Anforderungen an eine „völlige Transparenz“ genügen. Er kann seine Mitwirkungsobliegenheit regelmäßig dadurch erfüllen, dass er


  • dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt,

wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen,

  • ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu nehmen, dass er innerhalb des laufenden Kalenderjahres genommen werden kann,

  • und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt.


Die Anforderungen an eine „klare“ Unterrichtung sind regelmäßig durch den Hinweis erfüllt, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt. Nimmt der Arbeitnehmer in diesem Fall seinen bezahlten Jahresurlaub nicht in Anspruch, obwohl er hierzu in der Lage war, geschieht dies aus freien Stücken und in voller Konsequenz der sich daraus ergebenden Konsequenzen."

(Formatierung durch den Blog-Verfasser)


Arbeitgebern kann nur dringend geraten werden, diese Obliegenheiten sorgfältig zu erfüllen!


Die Entscheidungen der Rechtsprechung betreffen den gesetzlichen Urlaubsanspruch nach § 3 Bundesurlaubsgesetz, 24 Werktage, was bei einer Fünftagewoche 20 Arbeitstagen entspricht sowie den gesetzlichen Zusatzurlaub für Schwerbehinderte (§ 208 SGB IX). Ein darüber hinausgehender Urlaub wird vom Arbeitgeber grundsätzlich freiwillig gewährt, so dass hier ein anderes „Urlaubsregime“ durch die Arbeitsvertragsparteien, aber auch Tarifvertragsparteien, vereinbart werden kann. Ein vom Gesetz abweichendes Urlaubsregime muss erkennbar vereinbart worden sein. Liegt ein derartiges abweichendes Urlaubsregime vor, wird bei einer (teilweisen) Urlaubsgewährung grundsätzlich zunächst der gesetzliche Urlaub gewährt. Ein Arbeitgeber sollte daher stets prüfen, ob

  • ein vom Gesetz abweichendes Urlaubsregime vorliegt, das wirksam einen Verfall des freiwillig über das Gesetz hinaus gewährten Urlaubs zum Ende des Kalenderjahres bestimmt,

  • ob durch Gewährung von Urlaub der gesetzliche Urlaubsanspruch vollständig oder teilweise erfüllt ist,

  • ob der verbleibende Urlaubsanspruch ganz oder teilweise einem anderen Urlaubsregime unterliegt und dadurch doch zum Ende eines Kalenderjahres verfallen ist.


Letztlich besteht kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung trotz Verletzung der Obliegenheitspflicht,

  • wenn der Arbeitnehmer das gesamte Kalenderjahr durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war,

  • und der Arbeitnehmer in den folgenden 15 Kalendermonaten durchgehend arbeitsunfähig erkrankt bleibt.


In diesem Fall wäre der Urlaubsanspruch auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Obliegenheiten des Arbeitgebers 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres untergegangen.


"(1) Die Rechtsfolge der unterlassenen Erfüllung der Obliegenheiten wird wie ihr Inhalt durch den Zweck bestimmt, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaubsanspruch zu verwirklichen (...). Kann auch bei Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten deren Zweck nicht erreicht werden, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt (...), ist es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen (...). Auch in diesem Fall ist von besonderen Umständen auszugehen, die den Verfall des Urlaubsanspruchs am 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahrs rechtfertigen (...)."

BAG, 07.09.2021 - 9 AZR 3/21 (A), Rn. 29,

Formatierung durch den Blog-Verfasser


Es bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung konsequenterweise diesen Rechtsgedanken auch auf andere Fälle anwendet, in denen mangels einer Arbeitspflicht keine Möglichkeit der Suspendierung der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung möglich ist.



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